Gartenzwerge und Robin Schulz CDs in weiß getünchten Häusern

Gestern erschien im SPIEGEL eine Kritik zu der neuen Platte der Stuttgarter Band Die Nerven. Sind soweit ich weiß (nicht meine Musik) recht erfolgreich, beliebt, sowohl bei Fans als auch eben Musikkritikern wie SPIEGEL-Eule Andreas Borcholte. Der gab der Platte eine 8.7 (von 10).

Die Herleitung warum die Platte wohl auch so gut ist, ging so super los, dass Setzer dem Borcholte am liebsten seine Dreads ins Maul gestopft hätte, so sauer wie er mich auf die Rezi hinwies.

Es geht natürlich um den zweiten Absatz. Ich weiß zwar nicht, ob Die Nerven von Stuttgart wirklich genervt sind, ich weiß nur, dass seit Jahr und Tag nationale Redakteure / Journalisten – vermutlich ohne jemals hier gewesen zu sein – noch irgendwas fieses zu Stuttgart dazu dichten müssen. Weil: Es ist ja Stuttgart. Da müssen wir jetzt noch in einem Nebensatz einen Diss einbauen. Wir waren zwar noch nie dort, aber müssen wir einfach! Es ist Stuttgart!!!!!1!!1!! Da ist es scheiße!!!!11!!1 (Heißt es, sagt man.)

(Als die S21 Demos am Größten waren, beliebter Satz in der deutschlandweiten Presse: „Und das im langweiligen Stuttgart!“ Oder grüner Oberbürgermeister: „Und das im spiessigen Stuttgart!“)

Ja, das kann ja alles gar nicht sein, weil hier ja alles extrem schlimm ist und die Menschen ja sowieso alle total bescheuert. Um genau zu sein: Eigentlich ist es hier die unendliche Hölle, wir sind nur noch da, weil es Geld en masse gibt. Weil: Im Herzen der Ingenieurigkeit. Das stimmt zumindest, Andreas.

Zum restlichen polemischen Band-aus-Stuttgart-ich-muss-jetzt-noch-hart-böse-sein-Satz: Ich würde sagen, in Stuttgart gibt es so viele weiß getünchte Einfamilien-Reihenhäuser wie anderswo auch auf der Welt. Ich war schon an Plätzen, da war mehr weiß getüncht. Liegt auch glaub einfach daran, dass die Farbe weiß ein internationaler beliebter Standard für eine Hausfarbe ist, oder? Also falls ich jemals ein Haus kaufen oder bauen sollte – ich glaub, ich würde es auch weiß tünchen lassen – Kleinbürger-Alert!!!!11!!!!

Gartenzwergigkeit: Keine Ahnung was er meint. Und ich kenn meine Stadt als Läufer von West bis Ost und von Nord bis Süd ganz gut. Kenne viele Häuser, viele Gärten. Allzu viele Zwerge hab ich noch nicht gesehen. Ich meine sogar, noch gar keinen, bis vielleicht bei den Schrebergarten an der Wartburg. Ich guck nochmals nach und zähl durch.

Das große Finale: Stuttgart, eine Stadt aus betäubten Kleinbürgern, die Robin Schulz und Bourani hören. Top.

Wer nicht kapiert hat, dass ein großer Teil dieser Menschheit, von China bis zur amerikanischen Westküste aus (kulturell) „betäubten Kleinbürgern“ (mein Haus, mein Auto, mein Strandurlaub, meine Bourani -CD, meine Champagnerflasche mit Wunderkerze) besteht und das seit Jahrtausenden (ich sag gerne, das moderne stupide Entertainment wurde im Alten Rom erfunden, Brot und Spiele), der bekommt von da draußen relativ wenig mit und onaniert wahrscheinlich nonstop auf seine eigenen Rezensionen oder macht mit seinem einzigen Kombl -Kekswichsen auf seine Rezensionen. Man könnte ihn auch als weltfremd bezeichnen. (Genauso weltfremd wie es eben z.B. wäre, im Penthouse ein Deep-House-Set spielen zu wollen.)

Oder anders gesagt: Der Mainstream gewinnt immer und überall. Das ist leider so. Nervt mich auch manchmal sehr. Richtig sehr nervt mich das.

Aber nee: Das alles gibt es ja nur in Stuttgart. 3,5 Millionen Berliner haben einen total super Musikgeschmack. Selbst Cindy aus Marzahn. Alle Hamburger sowieso. Logo! Und klar, da gibt es natürlich eh keine Kleinbürger.

Was ist eigentlich ein Kleinbürger? Also für mich sind das Menschen, die auf ne Pegida-Demo gehen. So! Hab ich in Stuttgart auch noch keine gesehen. Ach doch, da war ja mal was, mit 50 Leuten. Und die kamen alle aus Pforzheim oder so. Stark.

Dieses elendige Scheißgeschreibe, mitunter zwanghaft in Nebensätzen untergebracht, Stuttgart als die Projektionsfläche schlechthin für das Provinzielle, die seit Jahren unendlich nervt, muss sich nicht Hannover anhören und nicht Bielefeld. Oder Paderborn. Nur in Stuttgart ist das alles so. Nur in Stuttgart hört der Kleinbürger Robin Schulz. Und Bourani (von dem ich nicht ein Lied kenne).

Und deswegen mit freundlichen Grüßen an den SPIEGEL und Borcholte aus der Provinzlandeshauptstadt, die wir natürlich auch immer sein werden, aber definitiv nicht die einzige Provinz in Deutschland sind und gerade speziell der Deutsche an sich gerne zum Provinziellen neigt:

Bildschirmfoto 2015-10-06 um 17.29.48

P.S.: Jan-Georg Plavec hat ebenso gut gegengehalten.

P.P.S.: Das Video nochmals extra, denn Mensch Maier, in der SPIEGEL-Stadt Hamburg gibt es tatsächlich Menschen, die auf ein Bourani Konzert gehen. Scheinbar nicht zu wenige. Wahrscheinlich alle aus Stuttgart hochgefahren.

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10 Comments

  1. says: MartinTriker

    Hey, zu Bourani-Konzerten kommen sogar Busse aus Stuttgart nach Hamburg! Aus Frankfurt ja sowieso.

    Und Gartenzwerge gibt es in Stuttgart tatsächlich. Natürlich in …. (tusch)… Wangen. Da gibt’s auch Katzenklappen für Garten-Eisenbahnen. Und Schneewittchen mit Froschkönig. Und noch mehr. Ich glaub, ich muss mal Fotos machen. Echt geil was hier manche in ihren Vorgärten haben.

  2. says: kutmaster

    Wenn die Häuser doch nur weißgetüncht wären!

    Leider hat ja kurz nach dem Krieg irgendein Sadistenverband „Pfirsich“, „helles Eitergelb“, „Uringelb“, „Schimmelgrün“ und „Flieder“ als einzig wahre Fassadenfarben deklariert.

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