Bass & Bart in Rio

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Mein Territory Sound-Kollege TKZ aka Thomas Hornung und ich unternehmen ja regelmäßig musikalische Bildungsreisen, nach Kalifornien und London war jetzt Rio de Janeiro an der Reihe. Gut, eigentlich waren wir nur wegen der Strände und wegen des guten Essens da, aber in einer Stadt wie Rio kommt man um Musik natürlich nicht so ganz rum.

Deshalb eine kleiner musikalischer Reisebericht in chronologischer Reihenfolge.

Wenn man als Stuttgarter nach Rio reist kommt man um ihn nicht herum: Bernie Weber alias MC Gringo. Der Man. Der beste Reiseführer, Auskenner, Bescheidwisser, Fahrer, Sänger, Tänzer und Guru (kleiner Insider) in ganz Brasilien. Mit Empfehlung von Schowi am Flughafen zum ersten Mal getroffen, sind wir schon vor Ankunft in der Stadt straight auf einer Wellenlänge.

Die ganze Geschichte von MC Gringo, der vor 13 Jahren von Stuttgart nach Rio ausgewandert ist, hatten wir schon aufm Blog, und wer ihn vielleicht bei Goodbye Deutschland gesehen hat: Das Fernsehen zeigt nicht immer die ganze Wahrheit, liebe Kinder. Mit diesem Track landete er vor einigen Jahren in den Brasilianischen Charts und in zahlreichen TV-Sendungen:

Ansonsten werden wir gleich am ersten Wochenende mit einer Extraladung Bass bekehrt. Bernie-Kumpel Wolfi, den wir am ersten Abend besuchen, erzählt uns von der Parada Funk, die am Sonntag im Stadtzentrum stattfinden soll. Außerdem gibt er uns die von ihm zusammengestellte Compilation „Kafundó Vol. 1“ mit aktueller Musik aus Rio mit auf den Weg.

Hier ein Hörbeispiel:

Das zeigt auch ganz gut, was man in Brasilien unter „Funk“ oder besser „Baile Funk“ versteht: Heftiger Beat, Mörder Bass. Und bei der Parada Funk, zu der wir nichtsahnend tingeln, lernen wir dann den Endgegner in Sachen Bass kennen:

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Auf einem Platz vor apokalyptischer Wolkenkratzer-Kulisse ist nicht nur eine Bühne mit zwei Boxentürmen aufgebaut, sondern zusätzlich auf jeder Seite eine 20 mal 3 Meter große Boxen-Wall-of-Death. Selbst 100 Meter entfernt ist weder ein Gespräch noch regelmäßiges Atmen möglich. Das Ganze gibt es einen Block weiter dann noch mal auf einem weiteren Platz.

Am Montag ermöglicht uns Bernie nach der obligatorischen Pharrell-Snoop-Gedächtnis-Fotosession auf der Escadariá Selaron zum Glück ein schönes Kontrastprogramm. „En gscheite Samba“ verspricht er uns und nimmt uns mit in den touristisch nicht erschlossenen Norden der Stadt.

https://www.youtube.com/watch?v=gClclOci8ck

Im Renascença Clube, einer Art Samba-Verein, gibt es jeden Montag eine Session mit Musikern – diese sitzen am Tisch, eine in Rio sehr geläufige Samba-Variante, die Gäste werden im Laufe des Abends immer mehr, gruppieren sich bei Bier und BBQ um den Tisch und haben eine gute Zeit.

Das Video zeigt exakt solch einen Abend, sogar die Musiker sind überwiegend die gleichen, und der stehende Mann war auch bei unserem Besuch der absolute Star:

Nach zwei bis drei – für Rio eher untypisch – regnerischen Tagen können wir dann endlich unsere Hood genießen. Für die erste Woche haben wir uns über airbnb ein airbnb-Apartment direkt im Stadtteil Copacabana mit Blick aufs Meer gegönnt. Die richtige Entscheidung, eine spannende Mischung aus Großstadt und Beachlife.

Unschwer zu erraten, unser Ohrwurm für die komplette erste Woche:

https://www.youtube.com/watch?v=Ge67vLGTwSM

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Ansonsten gleich mal zu Beginn ein gute Überdosis an Eindrücken: Der wirklich wunderschöne Strand in Copacabana, dann rauf auf den Zuckerhut mit dem wahrscheinlich besten Blick auf der ganzen Welt, und dann noch mit der Zacke hoch in die eher „harmlose“ Favela Santa Marta, wo Michael Jackson das Video zu „They Don’t Care About Us“ gedreht hat – wieder mit grandiosem Blick.

Auch mehr oder weniger Pflichtprogramm in Rio: Ein Spiel im berühmten Stadion Maracana anschauen. Dort wo wir Weltmeister wurden. Leider spielt nicht Flamengo, die Mannschaft, für die das Herz fast jeden Einwohners von Rio bis zum Himmel schlägt (die hatten tatsächlich ein Heimspiel in die Retorten-Hauptstadt Brasilia verkauft), sondern Fluminense – die Rich-Bitch-Mannschaft, wie uns Bernie erklärt.

Deshalb sind leider auch nur 11.000 Zuschauer im 80.000-Mann-Stadion, spannend ist das Spiel trotzdem, und unser einheimischer Nebensitzer weiß tatsächlich wann der VfB zuletzt Meister wurde.

Dann ist wieder Beachtime, und weil man sich ja sonst nichts gönnt begnügen wir uns nicht mit dem Strand direkt vor der Tür, sondern fahren zum nahegelegenen Strand von Ipanema, an den berühmten Posto 9. Der Strand ist tatsächlich noch schöner, die Frauen auch und ein Beachbild muss sein:

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Ansonsten ist der nächste Ohrwurm natürlich auch sofort am Start:

https://www.youtube.com/watch?v=UJkxFhFRFDA

Am Abend verspricht uns Bernie wieder „en gscheite Samba“, und wie immer bei ihm wissen wir vorab nicht ganz genau, was uns erwartet. Zunächst holen wir seinen Kumpel Bira Show ab, und weil der nicht nur ein bekannter Percussionist ist, sondern auch der Sohn des Gründers der größten Sambaschule von Rio, Mangueira, fahren wir erst mal da hin.

Wie wir an in den Farben der Schule angemalten Häusern sehen, sind die Sambaschulen für die Einwohner von Rio sogar noch wichtiger als Fußball. Und das will was heißen.

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Zusammen geht es dann wieder in den Norden zu irgend einer Bar an einer Ecke, wo Rangell, ein weiterer Kumpel von Bernie, mit seinen Jungs einen Samba spielt.

https://www.youtube.com/watch?v=qSkRdpNajbU

Die Songs von Rangell sind allesamt mächtige Ohrwürmer, für ein paar Lieder steigt Bernie samt deutscher Flagge mit ein und nicht zum letzten Mal erfahren wir, dass die Leute in Rio echt auf Deutsche stehen.

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Natürlich tauchen wir dann noch in die Tiefen des Nachtlebens in Rio de Janeiro ein. Der über seine Rootikal Radioshow weltweit connectete TKZ hat gleich für zwei Partys Liste gecheckt, doch vorher laufen wir noch die Partymeile in Lapa ab – das ist ungefähr wie die Theo, nur mit besserer Musik und schöneren Häusern.

Unsere erste Station ist das Bola Preta unweit von Lapa, eine weitere Sambaschule, wo Konzerte und Partys stattfinden. Die Dub-Lokalhelden Digital Dubs haben die englische Dub-Legende Mad Professor am Start, den ich vor allem von der Zusammenarbeit mit Massive Attack und seiner Dub-Version von deren Album „Protection“, namens „No Protection“.

Hier ein anderer bekannter Track von ihm:

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Er dubbt gut live einen raus, das heißt er zerlegt an einem riesigen Mischpult live Tracks in seine Bestandteile, während sein mitgebrachter MC das Mikrofon bedient. Überraschenderweise ist der Sound relativ leise, also ziehen wir in einer halsbrecherischen Taxifahrt weiter nach Copacabana.

Dort spielt im Cave Club DJ Laudz von den Tropkillaz, die am nächsten Tag beim Mega-Festival „Rock in Rio“ spielen. Die Tropkillaz sind so etwas wie die Major Lazer aus Brasilien, es läuft Trap, der Club ist nett, voll mit jungen Leuten und könnte genau so auch in Stuttgart, Berlin, London oder New York stehen.

https://www.youtube.com/watch?v=2AT1yg-krz0

Für die zweite Woche ziehen wir um nach Santa Teresa, ein sehr schönes Künstlerviertel am Berg über dem Stadtzentrum, und mieten uns in Gerthrude’s Bed & Breakfast ein – samt luxuriösem Schlafgemach, Pool und wieder einmal spitzen Blick über die Stadt.

Mit dem Ausblick ist es so eine Sache in Rio: Immer wenn man denkt, es gibt keine Steigerung mehr, kommt noch einer obendrauf – und wir nehmen alles mit. Blick vom Zuckerhut, Blick vom Cristo Redetor, Blick von der Favela Santa Marta, Blick von unserer Unterkunft in Santa Theresa, Blick vom höchsten Berg Rios, Blick aus dem Heli über Copacabana und Ipanema, Blick von Bernies Haus in der Favela, Blick vom Zuckerhut bei Sonnenuntergang.

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Am letzten Tag treffen wir dann noch mal Rangell, und zwar in der Favela Complexo Alemao, wo er wohnt. Das ist die größte Favela Südamerikas und erstreckt sich über mehrere Hügel, über die eine alpine Gondelbahn führt. Die besteigen wir zusammen mit Bernie, als unter uns ein Schuss zu hören ist. The shit is real in Rio.

Tatsächlich ist der Complexo auch eine der gefährlichsten Favelas, fast täglich gibt es dort Schießereien. Nichtsdestotrotz oder gerade deshalb veranstalten Bernie und Rangell kurz nach unserer Abreise ein brasilianisch-deutsches Fußballfest, über das auch die Welt berichtet.

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Leider gibt es von dort aber nicht nur gute Nachrichten, eine Woche nach unserem Besuch wird im Complexo ein Polizist, der u.a. Harry Potter in der brasilianischen Synchronfassung seine Stimme lieh, erschossen.

In diesem Video von Rangell ist der Complexo Alemao zu sehen – vor allem mit seinen schönen Seiten:

Zum Schluss noch mal ein dickes Dankeschön an Bernie und alle anderen sehr netten Leute, die wir in Rio kennenlernen durften. Big up und wir werden wiederkommen!

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