52 Albums/11: Air „Moon Safari“

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Natürlich gewinnt man mit der Wahl dieser Platte für unsere 52 Albums Serie keinen Innovationspreis. Aber darum geht es bei dieser Reihe auch nicht, sondern um die großen Emotionen.

Bislang haben wir eigentlich nur über schöne Erinnerungen, die man mit einem bestimmten Album verbindet, sinniert. Mit diesem Werk verhält es sich zumindest bei mir genau anders herum. „Moon Safari“ von Air ist das Paradebeispiel, wie man ein (gutes) Stück Musik (unbewusst) verächtlich zur Seite schieben kann, weil die Platte mit einem Negativerlebnis behaftet ist.

Über „Moon Safari“ an sich muss man wohl kaum große Worte verlieren. War toll damals. Irgendwie neu. Anders. Entspannt. Was hat sich Musikpresse gefreut über die zwei Franzosen. Verkaufszahlen kenne ich keine. Schlecht waren sie sicherlich nicht.

Heutzutage ist „Moon Safari“ wahrscheinlich das Lieblingsalbum sämtlicher Fernsehbilder-Vertoner dieses Planeten. Und gäbe es eine Telefonanlagenwarteschlaufen-Chart wäre das Debüt von Nicolas Godin und Jean-Benoît Dunckel mit ziemlicher Sicherheit für immer und ewig auf der Nummer 1. Und: Ich hab es zwar dort nie gehört, aber es würde mich nicht wundern, wenn die Hits „Sexy Boy“, „Kelly Watch The Stars“ oder „All I Need“ auch ab und zu von DJ Edeka gedroppt werden.

Das Album war auch meine Nummer 1. Zumindest im Sommer 1998. Ich war zu dieser Zeit im zweiten Semester Student der Physik an der Universität Stuttgart, Außenstelle Stuttgart-Vaihingen. 17.000 andere Typen und ich. Hoher Nerd- und Freak-Faktor. Lauter kleine Nobelpreisträger in spe. Ich sag immer: Nach einem halben Jahr dort oben hat man irgendwann sogar der Putze hinter geschaut.

Im Studiengang Physik hat man so gut wie keine Prüfungen. Daraus folgt: Wenn man also mal welche hat, türmen sich zu Beginn der Lehrzeit scheinbar nicht zu bewältigende Berge von Lehrstoff auf. Gut, wird bei vielen anderen Studiengängen ebenso sein.

Ich hatte in den ersten zwei Semestern auch Chemie. So als Grundlage zum besseren Verständnis der Physik, sagt man. Ist eigentlich auch so. Bloss Chemie ist nen Scheiß. Okay, Physik für die meisten auch. Wie oft ich mir schon den Spruch „hab ich gleich nach der 11. abgewählt“ anhören musste, könnt ihr euch gar nicht vorstellen.

Womit wir beim Thema wären. Die Chemie-Prüfung Mitte September 1998 war die erste meines Studiums. Mündlich. Bei einem Professor. Nicht irgendeiner, sondern eine wahre Koryphäe seines Metiers. Hat etliche dicke Wälzer geschrieben, darunter auch ein Standard-Lehrbuch für Studenten. Mein Gott, wie hieß der nochmals? Irgendwas mit W glaub.

Nun gut, ich wusste das wird schwer, weil ich auch während der Verlosung nicht sonderlich viel kapiert habe. Zudem ist mündlich überhaupt nicht mein Ding. Also hab ich rund drei Wochen Lernzeit einkalkuliert, damit ich das halbwegs anständig über die Bühne bringe.

In diesen drei Wochen hatte ich einen sehr festen Rhythmus. Aufgestanden, gefrühstückt und dann Air eingelegt, grob gesagt auf Repeat gestellt, und wie ein wahnsinniger Chemie gebüffelt. Mittagspause und dann weitergelernt bis abends. Da dann meist ohne Air. Vielleicht mit was anderem, weiß ich aber nicht mehr. Mein Chemie-Soundtrack war definitiv „Moon Safari“.

Jetzt kann man natürlich fragen, warum man beim Lernen überhaupt Musik hört. Ging damals aber irgendwie, zumindest hab ich es mir eingebildet. Air ist ja so schön smooth und schlägt nicht auf die Konzentration. Würde ich aber heute glaub nicht mehr machen.

Anfangs lief die Lernerei ganz gut. Ich hatte das Gefühl, etwas zu verstehen. Das ist ja immer das wichtigste, dass man etwas kapiert und nicht nur im Akkord Bücherseiten scannt. Hab mir relativ viel reingeprügelt, unter anderem ganz viel Spezialwissen, weiß Gott warum. Und nur Gott weiß noch, was ich damals alles gelernt habe, denn ich weiß es nicht mehr.

Das war wohl im nach hinein gesehen das Problem, weil irgendwie hab ich die Basics vernachlässigt. Also so die Stufe NaCL alias Natriumchlorid ist Kochsalz. Lieber an ein paar duften Kernspins aufgegeilt.

Je näher nun die Prüfung rückte, desto mehr schlug meine innere Ruhe um. Grob gesagt vom selbstbewussten, allwissenden Chemie-Crack in ein unsicheres kleines RAMlein, dass sich zufälligerweise in den Tiefen des Periodensystems verirrt hat.

Und ich bekam etwas, was ich noch nie zuvor im Leben hatte: Prüfungsangst. Aber so richtig. Mögen mir meine ehemaligen (hauptsächlich weiblichen) Mitschüler verzeihen, die ich für ihre Panikattacken vor dem Abi ausgelacht habe.

Die letzten zwei Nächte vor dem Prüfungstermin waren der absolute Horror. Kaum geschlafen. Schweiß gebadet aufgewacht. Tagsüber wie ein Häuflein Elend über den Bücher gekauert. Schon 48 Stunden bevor der große Meister „Herr Elbert bitte!“ gerufen hat, bin ich in Ehrfurcht vor dieser Person erstarrt.

Ich weiß gar nicht mehr wie ich am Prüfungstag nach Vaihingen gekommen bin. Ich hatte die Hosen dermaßen voll, dass ich eigentlich eine Großpackung Pampers hätte mitnehmen müssen.

Und es kam wie es kommen musste. Meine ganze Ehrfurcht und mein Respekt gegenüber dem Stuttgarter Formel-Don hat sich in einen totalen Blackout generiert. Irgendwie hab ich mich mehr oder weniger peinlich durch die halbe Stunde gestottert.

„Also das war nichts hier!“, machte er mich danach zur Sau und faselte was davon, dass mir so einige Grundkenntnisse der Chemie fehlen würden. Eine 4 hat mir der Herr Professor gnädigerweise trotzdem noch gegeben.

Man sagt zwar immer, 4 gewinnt, aber das ist nen Scheißspruch. Das befriedigt nicht. Ich war echt am Ende. Am meisten aufgeregt hat mich, dass ich für so eine verkackte 4 drei Wochen Lernzeit investiert hatte. Zuvor war ich noch eine Woche in Paris und hatte auch die Möglichkeit, länger zu bleiben, was ich am liebsten getan hätte, weil es mir dort so gut gefallen hat.

Nach meinem Horror-Auftritt bin ich erst mal in Soundshop Platten kaufen gegangen, unter anderem das erste Def Squad Album. Das weiß ich noch ganz genau.

Und ich weiß auch, dass ich nach diesem Tag im September nie wieder „Moon Safari“ am Stück gehört habe. Nur einzelne Lieder. Im  TV, in der Warteschlafe oder im Edeka. Und immer wenn ich die Lieder höre, denke ich an chemische Formeln, an meine Leidenszeit und an meine schräge Performance im September 1998.

Mein Studium hab ich eine Jahr später dann endgültig geschmissen. Eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Die Universität sollte einfach nicht mein Place sein. Es lebt sich auch ganz gut als Nicht-Diplom-Physiker.

P.S.: Mit Hilfe von Moritz haben wir herausgefunden, dass mein Professor Johann Weidlein hieß. Ist im März 2003 im Alter von 65 Jahren verstorben.

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10 Comments

  1. says: eicke

    Ich weiß genau wovon du sprichst! ich war letzen monat auch im prüfungsstress- mechatronik studium, auch erste semester, auch im gerade gefühlte 40°C heißen stuttgarter kessel. und mein tagesablauf war ca. eine 100%ige kopie des deinigen. außer dass ich lieber premiers symptomes gehört habe. „le soleil est pres de moi“ begegnete mir täglich gefühlte siebzehn mal zusammen mit flächenträgheitsmomenten, haftkoeffizienten und wie sie nicht alle heißen. und ich geb dir mein word of honour dass sich das in der nächsten klausurphase nicht ändern wird. außer es begegnet mir eine bessere by-the-learning-way-band. haaa! als ob!
    denk dran, du bist nicht der einzige der mit air nur lernerei-scheiß verbindet…zum glück bin ich nicht abergläubisch was den zusammenhang mit deinem studiumabbruch angeht. also keep it echt!
    wobei ich hoffe dass

  2. says: kutmaster

    Hammer Album, Klassiker etc, aber löst bei mir mittlerweile Brechreiz aus – einfach zuviel und überall gehört. Da kommt eigentlich nur noch die DJ-Kicks vom Kruder&Dorfmeister ran an den Verschleiss… schade eigentlich.

  3. says: martin

    kam gerade rein…

    AIR veröffentlichen ihr 5. Studioalbum, „LOVE 2“ am 02. Oktober 2009

    Das international bekannte französische Electropop-Duo AIR (Jean-Benoit Dunckel und Nicolas Godin) werden am 2. Oktober ihr 5. Studioalbum „Love 2“ veröffentlichen.

    Es ist der Nachfolger des 2007 erschienen, hochgelobten „Pocket Symphony“ Albums und die erste Produktion, die aus „Atlas“, ihrem eigenen, hochmodernen Studio, hervorgeht.
    Versteckt in den Hinterhöfen Nordparis‘ stellte „Atlas“ die kreative Heimat zur Produktion der 12 neuen Songs dar.

    Zum ersten Mal haben Jean-Benoit und Nicolas das Schreiben und Produzieren komplett selbst übernommen.
    Zudem haben sie ihre Zusammenarbeit mit dem aus LA stammenden Drummer Joey Waronker vertieft, der sie bereits auf ihrer intimen, 3-Mann „Close Up“-Tour durch Südostasien im Herbst 2008 unterstützte.
    Auch Stéphane „Alf“ Briat, eine Größe der Pariser Musikszene, der schon an AIR’s ersten Werken beteiligt war, ließ es sich nicht nehmen, bei der finalen Mixsession dabei zu sein.
    „Do The Joy“ wird ab dem 6. Juli als virale Single im Netz erhältlich sein. Am 21. August folgt mit „Sing Sang Sung“, einer sommerlichen Pophymne, der erste offizielle Singlerelease des neuen Albums.

    1998 sorgte AIR’s Debütalbum „Moon Safari“ bei Musikliebhabern auf der ganzen Welt für Aufsehen und hat sich seitdem zu einem Elektropopklassiker entwickelt.
    AIR haben in den letzten Jahren viele karrieredefinierende Momente erlebt und durften sich im In- und Ausland über zahlreiche Auszeichnungen freuen.
    Die Liste ihrer Kollaborationen und Koproduktionen ist atemberaubend.
    Mit 5,5 Millionen verkauften Alben weltweit wurde die Band zum Botschafter des modernen französischen Pop.
    Die Fans werden jedes Mal aufs neue von den einfallsreichen Arrangements und spielerischen sowie unberechenbaren Klangfarben in ihren Bann gezogen.

    Anfang 2010 werden AIR auf Europatour gehen, beginnend im legendären „Casino de Paris“ ihrer Heimatstadt. Im Frühjahr geht es dann weiter auf US-Tournee.

  4. says: Thorsten W.

    NICE! Ich fand auch „Pocket Symphony“ sehr cool, und hab die Jungs übrigens vor ein paar Jahren mal live in München gesehen – war unterhaltsamer als ich erwartet hatte.

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